Nachdem am 2. März 2010 das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gefällt hatte, herrschte große Erleichterung: Die staatliche Überwachungsmaßnahme wurde für verfassungswidrig erklärt, ebenso waren die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen in den §§ 113a, 113b TKG nichtig. Gleichwohl der Vorratsdatenspeicherung nunmehr die gesetzliche Grundlage fehlte, erachtete das Gericht die Maßnahme nicht für generell unzulässig: Besondere Voraussetzung zur Speicherung der Daten sei aber, dass erhöhte Anforderungen an die Datensicherheit eingehalten werden, eine dezentrale Speicherung stattfinde und die Datennutzung grundsätzlich auf Fälle von Schwerkriminalität beschränkt bleibe.
Der EuGH traf seine Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie 2006/24/EG, auf welcher die nationale Umsetzungsgesetzgebung im Wesentlichen beruhte, vier Jahre später und erklärte die Richtlinie am 8. April 2014 für ungültig, da sie mit der EuGrCh nicht vereinbar sei. Spätestens seit dieser Entscheidung konnte man sich wohl relativ sicher sein, dass die Vorratsdatenspeicherung zumindest in Deutschland nie wiederkommen würde – und das trotz der Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, die Maßnahme nicht zur Gänze für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären.
Und nun ist die Vorratsdatenspeicherung auf einmal doch wieder da. Völlig unvorhergesehen? Sicherlich nicht, die Debatte um den neuen Gesetzentwurf bestand ja schon seit Längerem. Spätestens seit dem Zeitpunkt, als er vom BMJV Mitte Mai des Jahres 2015 an die Interessenverbände mit der Bitte um Stellungnahme herangetragen wurde, auch in aller Öffentlichkeit. Bei einer Betrachtung des gestrigen Abstimmungsergebnisses wird deutlich, dass der Gesetzentwurf zumindest im Bundestag nicht so umstritten war wie in der Diskussion unter den Bürgern, so stimmte eine große Mehrheit für das Gesetz: 404 Abgeordnete gaben dem Entwurf ihre Stimme, dies bei nur 148 Gegenstimmen und sieben Enthaltungen. Inhaltlich viel verändert wurde seit der Bekanntmachung des Entwurfs im Mai nicht, vielmehr wurde die allermeiste Kritik unberücksichtigt gelassen. Und das, obwohl es durchaus zahlreiche schwerwiegende Aspekte gab, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs aufkommen ließen, von der bisher nicht nachgewiesenen Effektivität der Ermittlungsmaßnahme ganz zu schweigen.
Deutlich wird für die neue Vorratsdatenspeicherung aber in jedem Falle eines: Es musste schnell gehen im Gesetzgebungsverfahren. Gerade einmal fünf Monate vergehen vom ersten Entwurf bis hin zum finalen Gesetzesbeschluss, inklusive der parlamentarischen Sommerpause. Benötigen die Ermittlungsbehörden so dringend die gespeicherten Verkehrsdaten, dass es an der Zeit für eine Gesetzgebung fehlt, die auch eine angemessene Auseinandersetzung mit der jedermann betreffenden Thematik ermöglicht? Das wird sicherlich nicht der Punkt sein. Die Vermutung geht vielmehr dahin, dass während sich Deutschland derweil in einer großen und ganz anders gelagerten politischen Diskussion befindet, ein unliebsames Vorhaben möglichst schnell und unauffällig auf den Weg gebracht werden soll. Kann das aber den Vorgaben an ein demokratisches und transparentes Gesetzgebungsverfahren gerecht werden, innerhalb dessen man sich intensiv mit den möglichen Grundrechtsbeeinträchtigungen auseinandersetzt? Wohl kaum. Oder ist es nicht vielmehr doch nur ein naives Wunschdenken, wenn man meint, dass berechtigte Interessen und Belange der Bürger im Gesetzgebungsverfahren angehört und gegebenenfalls auch berücksichtigt werden?
Fest steht jedenfalls eines mit Sicherheit: Die Vorratsdatenspeicherung ist da. Wieder einmal. Für wie lange? Das steht in den Sternen. Die ersten Verfassungsbeschwerden werden vorbereitet. Ebenso wieder einmal. Die Chancen dürften nicht schlecht stehen, dass auch diese Vorratsdatenspeicherung verfassungsgerichtlich wieder zu Fall gebracht wird, trotz aller gegenteiligen Behauptungen ihrer Macher. Bis dahin aber ist jeder wieder auf den schon so oft ausgesprochenen Selbstschutz angewiesen. Wer technisch hinreichend versiert ist, kann die Vorratsdatenspeicherung umgehen. Aber was ist mit all jenen, die es nicht sind und somit nicht können? Was ihnen zuletzt bleibt, ist die Hoffnung: Nämlich darauf, dass in künftigen Gesetzgebungsverfahren, welche die informationelle Selbstbestimmung der Bürger tangieren, zuvorderst auch deren Interessen mit einbezogen werden und nicht verfassungswidrige Gesetze zunächst so lange ausgeführt werden, bis sie wieder einmal vor dem Bundesverfassungsgericht enden.
UPDATE vom 06.11.2015: An diesem Freitag hat der Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung auch den Bundesrat passiert. Zuvor hatten die Länder Schleswig-Holstein und Thüringen vergeblich versucht, in dieser Sache den Vermittlungsausschuss gem. Art. 77 Abs. 2 GG einzuberufen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens stehen nunmehr noch die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten sowie die Verkündung im Bundesgesetzblatt gem. Art. 82 Abs. 1 GG aus. Es ist damit zu rechnen, dass die neue Vorratsdatenspeicherung noch im November 2015 in Kraft tritt.
Schöner Beitrag
Es ist schon traurig, wie so ein wichtiges Thema im Schatten der Flüchtlingsdebatte so überhastet durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht wird. Dann muss halt das BVerfG wieder einmal das ausbessern, was eigentlich Aufgabe des Gesetzgebers gewesen wäre.