Verwertung von Fahrdaten im Strafprozess

Bedeutung von Fahrdaten im Strafprozess

Die Digitalisierung und Vernetzung des Automobils schreitet stetig voran. Damit nehmen auch stetig die Datenmengen zu, die im Automobil gespeichert oder von diesem an externe Datenplattformen übermittelt werden. Diese Daten können ganz unterschiedlicher Natur sein – es kann sich bei ihnen beispielsweise um rein technische Daten über den Fahrzeugzustand oder aber auch um Daten über die Fahrzeugnutzung (Standort, Geschwindigkeit, Brems- und Beschleunigungsverhalten…= Fahrdaten) handeln.

Für Strafverfolgungsbehörden sind dabei insbesondere die Fahrdaten von Interesse.

Diese können sowohl bei der Feststellung von Haupttatsachen als auch bei der Indizienbeweisführung von Relevanz sein:

Bsp.: Gegen A wird ein Verfahren wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2d) StGB geführt. A hat mit seinem Auto an einer Straßenkreuzung mehrere Menschenleben gefährdet. Zur Geschwindigkeit des A gibt es widersprüchliche Aussagen von Augenzeugen.

Mit den Fahrdaten kann hier konkret ermittelt werden, wie schnell A zum Tatzeitpunkt war und ob er damit den Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2d) StGB erfüllt hat (= Haupttatsache).

Bsp.: A ist des Mordes angeklagt. A bestreitet, dass er zum Tatzeitpunkt vor Ort war. Die Fahrdatenauswertung ergibt jedoch, dass das Auto des A vor Ort war und kurz nach Tatgeschehen diesen mit rasanter Geschwindigkeit verlassen hat.

Mit der Ermittlung des Standortes erlangt die Staatsanwaltschaft hier einen Indizienbeweis für die Tatbegehung.

Zugriff auf die Daten

Die Staatsanwaltschaft darf nach §§ 102 ff. StPO die Datenspeicher nach beweisrelevanten Daten durchsuchen. Dabei darf sie die Datenträger auch auslesen. Über § 110 Abs. 1 StPO wird es ihr dabei gestattet, eine Durchsicht der erlangten Daten vorzunehmen und so die beweisrelevanten von den beweisirrelevanten Daten zu trennen. Häufig werden die Daten allerdings nicht auf Datenträgern beim Beschuldigten, sondern auf externen Datenträgern gespeichert. Das ist immer der Fall, wenn das Fahrzeug die Daten an eine externe Stelle übermittelt hat. So geschieht dies beispielsweise bei einem Pay-as-you-drive-Versicherungstarif, bei dem eine Telematikbox in regelmäßigen Zeitabständen Daten über das Fahrverhalten erhebt und diese an eine externe Datenplattform weiterleitet, mit deren Bestand das Fahrverhalten des/der VersicherungsnehmerIn bewertet wird. In solchen Fällen gestattet es § 110 Abs. 3 StPO auch externe Speicher zu durchsuchen, sofern sie sich das Endgerät, über welches auf die Daten zugegriffen werden kann (bspw. ein Smartphone), an einem Ort befindet, auf den sich der Durchsuchungsbeschluss erstreckt. Problematisch ist es jedoch, wenn sich der externe Datenspeicher im Ausland befindet, da sich die Befugnisse aus der StPO immer nur auf das Inland erstrecken. Beweisrelevante Daten kann die Strafverfolgungsbehörde sodann nach § 94 StPO sichern.

Die Behörde kann jedoch nicht nur auf Daten, die gespeichert sind, zugreifen, sondern auch auf Daten, die sich noch in dem Übermittlungsvorgang befinden. Die Übermittlung der Fahrdaten stellt ein Kommunikationsvorgang dar, so dass es der Behörde unter den Voraussetzungen des § 100a StPO gestattet ist, den Übertragungsvorgang zu überwachen und ggf. aufzuzeichnen.

Einschränkung der Zugriffsbefugnisse

Mit Blick auf das Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informatorischer Systeme muss jedoch austangiert werden, inwiefern die Ermächtigungsgrundlagen im Lichte der Verfassung einer Einschränkung bedürfen. Das Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informatorischer Systeme schützt den Einzelnen vor der Infiltration komplexer informatorischer Systeme, deren Daten zwar im Einzelfall nicht besonders brisant sein müssen, in ihrer Verknüpfung jedoch zu aussagekräftigen Profilen führen. Genau zu solchen Profilen können Fahrdaten in ihrer Kombination führen. Ihnen lässt sich entnehmen, woher eine Person kommt, wie lange sie sich wo aufgehalten hat und wohin sie gefahren ist. Daten wie das Brems- und Beschleunigungsverhalten lassen zudem Rückschlüsse auf die Gefühlslage zu. Mithin ist die Rekonstruktion gesamter Tagesabläufe möglich. Die Ermächtigungsgrundlagen haben mithin mit Blick auf das Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informatorischer Systeme  Einschränkungen zu erfahren.

Verwertung der Daten

Gelangen die Daten in den Prozess, stellt sich im nächsten Schritt die Frage, ob ihre Verwertung zulässig ist. Unter „nemo-tenetur“-Gesichtspunkten sind dabei Einschränkungen erforderlich. Das Schweigerecht des/der Angeklagten ist nichts mehr wert, wenn bei Schweigen bzw. zu seinem/ihrem Aufenthaltsort seine/ihre Fahrdaten herangezogen werden können und diese ihn/sie „verraten“. Eine freie Entscheidung des Einzelnen über sein Kommunikationsverhalten im Prozess ist nicht mehr möglich – genau diese möchte der nemo-tenetur-Grundsatz jedoch schützen.

Zur Beantwortung der Frage, ob der nemo-tenetur-Grundsatz einer Fahrdatenverwertung entgegensteht, bietet sich als Anknüpfungspunkt die Grenze zwischen steuerbarer und nichtsteuerbarrn Datenpreisgabe an. Hat der/die Angeklagte die Daten bewusst gegenüber einem Akteur freigegeben, steht „nemo-tenetur“ einer Prozessverwertung nicht entgegen, da die Informationen sich dann nicht von Gesprächen gegenüber einen späteren Zeugen unterscheiden. War die Datenpreisgabe zum Tatzeitpunkt indes für den Angeklagten nicht steuerbar, erleidet er einen für ihn nicht zu verhindernden und unfreiwilligen Verlust der kommunikativen Autonomie im Prozess, der einem Rückschritt bezüglich der hart erkämpften Betroffenenrechte gleichkommt.

So speziell das Thema der Digitalisierung und Vernetzung des Automobils auch scheint, so grundlegend sind die Fragen, die es aufwirft. Das gilt sowohl für (wie hier kurz angedeutet) das Straf(prozess)recht als auch das Datenschutzrecht.

Siehe zu diesem Beitrag auch den Aufsatz von Schwichtenberg, DuD 2015, 378, „Pay as you drive“ – neue und altbekannte Probleme

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