„Precobs“ steht für das so genannte „Pre-Crime-Observation-System“. Hierbei handelt es sich um eine Software, die prädiktive Polizeiarbeit ermöglichen soll, indem aus vergangenen Einsatzdaten mittels eines Algorithmus eine Prognose erstellt wird, in welchen Stadtvierteln eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für kriminelle Vorfälle besteht. Auf dieser Einschätzung basierend können die Polizeibehörden bestimmte Maßnahmen ergreifen, beispielsweise die Anzahl der Streifengänge in einem Gebiet erhöhen oder auch Videoüberwachungssysteme installieren, die zur Gefahrenabwehr in den ermittelten Risikogebieten beitragen sollen. In der Schweiz ist Precobs schon länger in verschiedenen Städten im Einsatz, genauso in den USA. In Bayern und Baden-Württemberg befindet sich das Programm in der Pilotphase, Nordrhein-Westfalen plant wohl ebenso, die Software zu gegebener Zeit zu nutzen.
Statistiken von Gebieten, in denen Precobs eingesetzt wurde, zeigen zum Teil einen nicht unerheblichen Kriminalitätsrückgang. Freilich gibt es zahlreiche Kritiker der Software, die insbesondere bemängeln, dass es an einem kausalen Zusammenhang fehle, wodurch tatsächlich objektiv nachgewiesen werden könne, dass der Rückgang der Kriminalität tatsächlich auf den Einsatz der Prognosesoftware rückführbar sei. Daneben ist das Phänomen der prädiktiven Polizeiarbeit, wie sie durch die Innovationen von Big Data erst ermöglicht wurde, einer viel grundsätzlicheren Kritik ausgesetzt: So wird argumentiert, dass mittels der Prognosesoftware der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt werde, indem potenzielle Straftäter schon für ein Handeln verantwortlich gemacht würden, das erst in der Zukunft liege. Gerne wird dabei auf den US-amerikanischen Spielfilm „Minority Report“ verwiesen, in dem Steven Spielberg dieses Szenario recht plastisch schilderte.
Eigentlich aber hat das „Predictive Policing“, wie es mit Precobs erfolgt, ziemlich wenig damit zu tun. Hier geht es nicht darum, dass mittels des Software-Einsatzes rechtsstaatliche Grundprinzipien außer Kraft gesetzt werden oder Personen einer strafrechtlichen Verurteilung zugeführt werden, ohne dass sie überhaupt eine Straftat begangen haben. Nein, genau genommen unterscheidet sich Precobs nicht wirklich von den Methoden klassischer Polizeiarbeit, die schon seit Jahrzehnten praktiziert wurde: Man hat einen Stadtplan an der Wand hängen und an jedem Ort, an welchem eine Straftat verübt wurde, wird ein kleines Fähnchen auf der Karte gesetzt. Jeder kann dann sehen, wo Verbrechensschwerpunkte liegen, auf die ein Augenmerk gelegt werden muss und wo eben weniger Kontrolle notwendig ist. Aber ist es tatsächlich so einfach, dass ein solcher Vergleich möglich wird?
Was bei der jüngeren Debatte um prädiktive Polizeiarbeit letztlich übersehen wird ist der Fakt, dass das Precobs-System kein Staatsbetrieb ist, sondern von privatwirtschaftlich tätigen Unternehmen entwickelt wird, die das Produkt auf dem freien Markt für Behörden gegen ein Nutzungsentgelt anbieten. Und somit stellt sich weitergehend die Frage, wer die Polizeiarbeit eigentlich steuert: Im Ergebnis gibt somit ein Algorithmus, der von dritter Stelle programmiert wurde und in welchen die Sicherheitsbehörden als Geschäftsgeheimnis im Regelfall keinen Einblick haben, vor, in welchen Stadtbezirken die Polizei stärkere Überwachungsmaßnahmen durchführt, beispielsweise häufiger Personenkontrollen erfolgen oder aber Videoüberwachungen stattfinden.
Daneben hat sich schon für den Staatstrojaner-Skandal im Jahre 2011 gezeigt, dass sich blindes Vertrauen in die Produkte von Fremdherstellern zu Überwachungszwecken als fatal erweisen kann, nachdem der CCC nachwies, dass die entwickelte Software zur Durchführung der Quellen-TKÜ gravierende Datensicherheitsmängel aufwies. So dürfte auch für den Betrieb von Precobs nicht klar sein, welche Datenverarbeitungsvorgänge und ggf. -übermittlungen bei der Nutzung des Systems im Einzelnen stattfinden, da auch hier wohl vor dem Einsatz weder eine Einsicht in den Quellcode stattfindet noch eine umfangreiche Programmdokumentation mit Kennzeichnung der Datenflüsse zur Verfügung gestellt werden dürfte.
Im Ergebnis muss man deshalb feststellen, dass die aktuelle Debatte um den Precobs-Einsatz zwar noch meilenweit von der Dystopie eines „Minority Reports“ entfernt ist, nichtsdestotrotz aber auch nicht einfach nur als die Neuaufmachung einer traditionellen Gefahrenabwehr- und Ermittlungsmethode des „Fähnchenabsteckens“ bezeichnet werden kann. Die Sicherheitsbehörden stehen hier in der Verantwortung, eine neue technologische Maßnahme vollständig zu verstehen und ihre Einsatzform inhaltlich zu durchdringen, bevor sie zu Kontroll- und Überwachungszwecken in der Öffentlichkeit herangezogen wird.